DAS PFLEGESTÄRKUNGSGESETZ 2017
Die Sozialgesetzgebung wird durch die Pflegestärkungsgesetze (PSG) umfassend reformiert. Diese Änderungen, die eine gerechtere Verteilung der Pflegeleistungen zum Inhalt haben, werden seit 2014 in mehreren Etappen schrittweise umgesetzt.
Waren es nämlich bislang vorwiegend körperliche Beeinträchtigungen, die zur Einstufung in eine entsprechende Pflegestufe führten, so wird der Zugang zu den Pflegegraden der Pflegeversicherung zukünftig auch bei geistigen, kognitiven oder psychischen Erkrankungen (zum Beispiel Demenz) möglich.
DAS NEUE BEGUTACHTUNGSVERFAHREN
Das neue Verfahren, auch Neues Begutachtungsassessment oder NBA genannt, wird weiterhin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) durchgeführt. Dabei wird jeder neue Antragsteller mit Hilfe eines Fragebogens begutachtet. Festgestellt wird der Grad der noch vorhandenen Selbstständigkeit. Nach diesem Gutachten entscheidet die zuständige Pflegekasse, ob und welchen Pflegegrad sie ihrem Versicherten zubilligt.
Der Prüfer ermittelt anhand eines Punktesystems, wie selbstständig der Pflegebefürftige noch ist und welche Situationen er noch bewältigen kann.Je mehr Punkte dabei vergeben werden, desto höher ist die Einstufung in einen Pflegegrad und umso mehr Pflege- und Betreuungsleistungen können durch die Pflegekasse genehmigt werden.Pflegebedürftige, die bereits vor dem 01.01.2017 in eine Pflegestufe eingestuft waren, werden nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht neu begutachtet, sondern in das neue System übergeleitet.
DAS NBA SIEHT EINE PRUFUNG IN SECHS BEREICHEN VOR:
Mobilität (10 Prozent):
Kann der Pflegebedürftige
– eine stabile Sitzposition halten,
– aus sitzender Position aufstehen und sich und sich umsetzen,
– sich innerhalb des Wohnbereiches fortbewegen,
– Treppen steigen
Kognitive und kommunikative Fähigkeiten 15 Prozent:
Der Pflegebedürftige
– kann Personen aus dem näheren Umfeld erkennen,
– ist örtlich und zeitlich orientiert,
– kann Alltagshandlungen zumindest noch teilweise erledigen,
– kann Entscheidungen im Alltagsleben treffen,
– ist in der Lage, Gesagtes zu verstehen,
– kann Risiken und Gefahren einschätzen sowie Bedürfnisse äußern und sich unterhalten.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen:
Der Pflegebedürftige zeigt
– motorische Verhaltensauffälligkeiten,
– Unruhezusstände in der Nacht,
– selbstschädigendes Verhalten oder Beschädigung von Gegenständen,
– aggressives Verhalten, ist z.B. verbal aggressiv,
– Ablehnung gegenüber pflegerischer und anderer Hilfe,
– Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen, Ängste oder Antriebslosigkeit,
– Verhaltensweisen und Handlungen, die inakzeptabel sind.
Selbstversorgung (40 Prozent):
Folgende Tätigkeiten können nicht oder nur noch eingeschränkt ausgeführt werden:
– Körperpflege (Oberkörper waschen, rasieren, kämmen, Zähneputzen, duschen oder baden)
– An- und Ausziehen,
– Essen mundgerecht klein schneiden, Getränke eingießen,
– Toilette benutzen.
Bei Kindern von 0-18 Monaten:
– gravierende Probleme bei der Nahrungsaufnahme, wobei ein außergewöhnlich
hoher Hilfebedarf nötig ist.
Bewältigung von und Umgang mit krankheitsbedingten Belastungen (20 Prozent):
– Medikationen, Injektionen, Einreibungen, Kälte- und Wärmeanwendungen, Verbandswechsel
und Wundversorgung sowie sonstige Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
– Besuch von Ärzten oder medizinischen Einrichtungen, wie Krankenhäusern.
Bei Kindern:
– Besuch von Institutionen zur Frühförderung.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (15 Prozent):
Der Pflegebedürftige kann
– seinen Tag gestalten und sich an Veränderungen anpassen,
– Ruhen und Schlafen,
– sich selbst beschäftigen,
– Planungen vornehmen,
– mit anderen Personen Kontakte pflegen.
Daneben gibt es noch zwei weitere Bereiche, die nicht zur Einstufung in einen Pflegegrad herangezogen werden, jedoch für die Pflegekraft wichtig sind:
– außerhäusliche Aktivitäten und
– die Haushaltsführung.
Dies klingt zunächst einfach. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, dass das System, nach welchem die Punktzahl ermittelt wird, äußerst kompliziert ist.
Selbst erfahrene Fachleute mussten dafür eigens konzipierte Schulungen durchlaufen.
Wenn Sie als Angehöriger den Besuch des Gutachters vorbereiten wollen oder nur einen möglicherweise zukünftigen Pflegegrad berechnen möchten, werden sie vermutlich mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Im Internet gibt es bereits heute „NBA-Rechner“, anhand derer Sie die Fragen des Gutachters simulieren können.
FOLGENDE EINSTUFUNGEN WERDEN AB 2017 VORGENOMMEN
Wenn die Punktzahl ermittelt ist, kann eine Einstufung in den jeweiligen Pflegegrad vorgenommen werden. Dabei wurden folgende Stufen festgelegt:
12,5 bis unter 27 Punkte Pflegegrad 1: Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
27 bis unter 47,5 Punkte Pflegegrad 2: Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
7,5 bis unter 70 Punkte Pflegegrad 3: Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
70 bis unter 90 Punkte Pflegegrad 4: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
90 bis 100 Punkte Pflegegrad 5: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung
Dieses System macht die Hilfe für Menschen, insbesondere für diejenigen mit Demenz, möglich. Im alten System der Pflegeversicherung waren sie häufig benachteiligt, da sie in den meisten Fällen körperlich völlig gesund waren.
Dennoch bestand durch ihre Erkrankung ein hoher Betreuungs- und Zuwendungsbedarf, der von den Pflegekassen nicht gewürdigt wurde. Pflegeleistungen wurden nur in absoluten Ausnahmen gewährt.
Dies ändert sich mit den Pflegestärkungsgesetzen grundlegend.
FAZIT
Durch die Pflegestärkungsgesetze wird eine längst fällige Lücke im Bereich der ambulanten Pflege geschlossen.
Gerade geistig-kognitiv erkrankte Patienten haben einen erhöhten Betreuungsbedarf, dessen Kosten früher selbst getragen werden mussten. Durch die Änderung tritt eine deutlich spürbare Entlastung ein. Außerdem erhalten geistig-kognitive Erkrankungen endlich einen angemessenen Stellenwert in der Pflegeversicherung.
|
Schon durch das PSG I aus den Jahren 2014 und 2015 wurden Demenzkranke wesentlich besser gestellt, als jemals zuvor. Ab 2017 werden für sie endlich die gleichen Leistungen der sozialen Pflegeversicherung gewährt, wie für Menschen, die dauerhaft körperlich erkrankt sind.
Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) wird die Pflegeversicherung nun umfassend reformiert. Erste Änderungen sind bereits in 2016 in Kraft getreten, die wichtigsten Änderungen erhalten jedoch ab 01.01.2017 Gültigkeit: die Einführung der Pflegegrade, ein grundlegend verändertes Begutachtungsverfahren und verbesserte Leistungen.
Ziel ist es, dass Pflegebedürftige so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung leben und durch unterschiedliche, ambulante Unterstützung im Alltag selbstständig bleiben können.
WAS ÄNDERT SICH KONKRET?
Zunächst einmal werden alle Pflegebedürftigen ab 2017 die gleichen Leistungen für eine ambulante Unterstützung erhalten. Egal, ob es sich um eine körperliche oder geistig-kognitive Erkrankung handelt.
Um die individuellen Beeinträchtigungen sicher feststellen und einordnen zu können, muss zunächst ein neues Begutachtungsverfahren eingeführt werden.
PFLEGEGRADE STATT PFLEGESTUFEN
Der Begriff Pflegestufe wird durch die Bezeichnung Pflegegrad ersetzt.
Statt früher drei Pflegestufen gibt es zukünftig fünf Pflegegrade.
Damit ist eine wesentlich genauere Einordnung des Grades der Hilfsbedürftigkeit möglich.
Alle, die bereits heute einer Pflegestufe zugeordnet sind, werden automatisch in die neuen Pflegegrade übergeleitet und müssen keinen Antrag hierfür stellen.
Damit jedoch niemand nach den neuen gesetzlichen Regelungen schlechtergestellt wird als vorher, gibt es einen Bestandsschutz für bereits bestehende Pflegeleistungen.
Trotz dieses Schutzes kann man aber davon ausgehen, dass sich für viele Pflegebedürftige die Leistungen erheblich verbessern werden.
WIE FUNKTIONIERT DIE UBERLEITUNG?
Die Überleitung vom alten ins neue System erfolgt am 01.01.2017, ohne dass bereits heute Pflegebedürftige etwas tun müssen. Im Gesetz selbst ist geregelt, dass sie automatisch nach neuem Recht eingestuft werden.
Aus den alten Pflegestufen 0 und 1 wird der Pflegegrad 2. Voraussetzung ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten.
Bei schweren Beeinträchtigungen, früher die Pflegestufe 1 mit eingeschränkter Alltagskompetenz und der Pflegestufe 2, wird der Pflegegrad 3, aus der Pflegestufe 2 mit eingeschränkter Alltagskompetenz und der Pflegestufe 3 wird der Pflegegrad 4.
Pflegebürftige, die in ihrer Selbstständigkeit oder ihren Fähigkeiten schwerste Beeinträchtigungen erfahren oder deren Pflege eine besondere Anforderung an die Pflegekraft erfordern, werden aus der alten Pflegestufe 3 in den neuen Pflegegrad 5 übergeleitet.
In den neuen Pflegegrad 1 kann nicht übergeleitet werden, da es diese Einteilung bisher nicht gab. Er gilt daher ausschließlich für Neufälle ab 01.01.2017.
Im Pflegegrad 1 wird kein Pflegegeld geleistet. Jedoch kann für Sachleistungen, für eine teilstationären Pflege und für Kurzzeitpflege ein Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro beantragt werden.
Dieser Entlastungsbetrag muss nicht monatlich verbraucht, sondern kann innerhalb eines Kalenderjahres für größere Bedarfe angespart werden.
LEISTUNGEN IN DER AMBULANTEN PFLEGE AB 2017
Pflegegrad 1:
– monatlich 125 Euro für Betreuungs- und Entlastungsleistungen
– monatlich 40 Euro für die Versorgung mit Hilfsmitteln
Pflegebedürftige mit den Pflegegraden 2 bis 5 haben Anspruch auf Pflegesachleistungen eines häuslichen Pflegedienstes, bzw. die ambulante Versorgung in einer Tages- oder Nachtpflege.
Die monatlichen Beträge sind in ihrer Höhe gestaffelt:
Pflegegrad 2: 689 Euro
Pflegegrad 3: 1.298 Euro
Pflegegrad 4: 1.612 Euro
Pflegegrad 5: 1.995 Euro
Anstelle dieser Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste kann wahlweise auch ein Pflegegeld für die häuslicher Pflege durch Angehörige, Freunde oder Bekannte beantragt werden:
Pflegegrad 2: 316 Euro
Pflegegrad 3: 545 Euro
Pflegegrad 4: 728 Euro
Pflegegrad 5: 901 Euro
|